Ostern in der Ferne
Seit fast einem Monat bin ich wieder im Kathmandu Tal. Die unendliche Geduld der Nepali, der morgendliche Geruch nach verbrannten Pneus, die fröhlichen Menschen, das Verkehrschaos, Dhal Bhat, die als Müllhalden missbrauchten Flüsse, vieles ist gleich geblieben und doch ist alles anders.
Als Konsequenz einer neuen Verordnung, nach der Ausländer nicht mehr in Einrichtungen wie Waisenhäusern übernachten dürfen, kam ich nicht umhin, mich für eine passende Bleibe umzusehen. Es hätte mich wohl nicht überraschen sollen, dass sich die Wege von Andrea, einer langjährigen Freundin, und mir ausgerechnet in Nepal wieder einmal kreuzen sollten. Schon das letzte Mal geschah dies ohne Vorwarnung, als sie plötzlich ohne Vorwarnung in Brig im Büro stand und wir kurz darauf zu Mitarbeitern ernannt wurden. Jetzt teilen wir zwar nicht den Arbeitgeber, dafür aber die Wohnung. Unsere Vermieter, ein älteres, für nepalesische Verhältnisse äusserst wohlhabendes Ehepaar, besitzen ein grosses Haus mit fein säuberlich gepflegtem Garten, einem Wachmann und zwei Putzfrauen. Wir bewohnen eine angegliederte Wohnung über zwei Stöcke, wobei ich mich im unteren Stock eingenistet habe. Vor allem die Ankleide, mein eigenes Marmorbad und die helle Küche mit Weitsicht, wobei letzteres zwar jahreszeitlich bedingt zunehmend abnimmt, lassen mich manchmal vergessen, dass ich in Nepal bin.

Das Beiprodukt des Osterfestes ist schon fast verzehrt. Durch die Jalousien lässt sich die Weitsicht erahnen.
In der Regel stehe ich frühmorgens auf und fahre nach Tathali. Nach einem süssen Milchtee versuche ich dann mit viel Eifer, aber gewohnt hinkendem Erfolg, geplante Baumassnahmen zur Entschärfung der Wasserknappheit im Waisenhaus der NGO Kam For Sud umzusetzen.
Mitten in dieser Routine hätte ich Ostern schon fast das zweite Mal in Folge verpasst. Irgendwie bin ich aber in diesem Land, wo die wenigsten Leute einen wissenden Ausdruck annehmen, wenn man von Ostern spricht, informiert worden, dass dieses christliche Fest unmittelbar vor der Tür steht. Es ist natürlich durchaus möglich, dass dies auch mit dem Umstand zusammenhängt, dass ich mit einer Schweizerin zusammen wohne.
Die besagte Schweizerin war bis Ostersonntag unterwegs, so dass die Vorbereitung für ein gebührendes Fest mir oblag, wollte ich diesen Feiertag nicht wieder unbemerkt verstreichen lassen. Ich nahm die Zügel in die Hände und improvisierte ein würdiges Fest. An dieser Stelle ein kleiner Abriss:
Mein oberstes Ziel war Eier zu färben. Dass dieses Ziel einen Rattenschwanz an Problemen mit sich bringen würde, ahnte ich zu diesem Zeitpunkt nicht. Als Erstes ging es darum zu überlegen, wie ich die Eierfarbe herstellen sollte. Da ein paar Tage zuvor Holi war, hätte ich natürlich einfach ein Säckchen Farbe in eine Pfanne schmeissen können. Dieses Mal bekam mir dieses farbenfrohe Fest jedoch nicht so gut und legte mich einen Tag lang still. Auch bin ich wohl tatsächlich nicht die geborene Rothaut, da meine Haut eher allergisch auf die Farbe reagierte. Grund genug die Finger von diesem künstlichen Pulver zu lassen. Es war also naheliegend die Farbe, wie zu guten alten Zeiten, mit Hilfe von Zwiebeln zusammen zu brauen. Woher kriegt man aber auf die Schnelle eine Menge Zwiebelschalen her, wenn man nicht ins Kaufhaus gehen kann und sich eine Packung schnappen kann, die schon Monate vor Ostern gut ersichtlich in den Gestellen sitzt? Genau, man kocht ein Gericht mit viel Zwiebeln. Als gebürtiger Berner muss in solchen Situationen natürlich ein Zibelechueche her. Eine Googlerunde später war ich schlauer und die Einkaufsliste länger. Des Weiteren kamen die Zutaten für Züpfe und für Mayonnaise auf die Liste, aber auch Käse und natürlich Faden waren darauf zu finden.

Andrea, meine Mitbewohnerin, und ich wurden an Holi von den Nepali nicht verschont und ganz schön mit Farbe versehen.
Die Einkaufstour stellte sich dann als grosses Kompromiss-Training heraus. Es gab halb harten Yak- statt Hobelkäse, eine teure Flasche Pinot Gris statt Kochwein, Senfsamen statt Dijon-Senf, Curd statt Sauerrahm und einen Faden, an dem man wohl einen ausgewachsenen Osterbaum hätte aufhängen können.
Dem Kompromiss-Training folgte das Improvisations-Training. Vor allem die fehlenden Backutensilien machten sich beim Zibelechueche bemerkbar. Wie beschrieben versuchte ich die Zutaten möglichst schnell und mit kalten Händen zu einem geriebenen Teig zusammen zu kneten. Der nächste Schritt meiner Anleitung bestand darin, den Teig eingeklemmt zwischen zwei Blätter Backpapier in die gewünschte Form zu bringen und dann ins Blech zu hieven. Solche Papiere sind hier offensichtlich nicht geläufig. So blieb mir nichts anderes übrig, als ihn mit der leeren Weinflasche, die Andrea als Wallholz deklariert hatte, direkt im mit Olivenöl bestrichenen Blech auszuwallen. Das kühl stellen stellte sich dann als schwierig heraus, da das Blech nicht in den Kühlschrank passte und der Teig somit mit dem kühlsten Teil unserer Wohnung vorlieb nehmen musste. Am Ende gewann der Kuchen sicher keinen Schönheitspreis, aber zumindest geschmacklich merkte man ihm die Kompromisse nicht an – fand ich.
Bald hatte ich den Farbsud aufgesetzt, dem ich noch ein paar Senfsamen beifügte, in der Hoffnung sie würden auch noch ihren Teil zu einer gelungenen Farbkombination beitragen. Unterdessen ging ich in den Garten und fand nicht den Wachmann, sondern seine Mutter vor. Mit meinem beschränkten Nepali Wortschatz versuchte ich zu erklären, was für komische Osterbräuche wir im Westen pflegen und weshalb ich nun ein paar Blätter und Blüten aus dem Ziergarten zupfen würde. Als ich mich daran machte den piekfeinen Pflanzen an den Kragen zu gehen, realisierte ich – ihrem Gesicht nach zu urteilen – dass sie mich überhaupt nicht verstanden hatte. Ihre Blicke brachten mich soweit, meine Beute auf heruntergefallene Blätter und Blüten zu beschränken. Dann ging es schnell – hopp hopp die Eier mit den Pflanzenresten belegt, mit Faden umgarnt, in den Sud geworfen und acht Minuten später fanden sie sich im kühlen Abschreckbad wieder.
Für den Zopfteig war es dann zu spät. Deshalb war der Osterhase frühmorgens statt mit Süssigkeiten verstecken noch mit der Zubereitung eines weiteren Teigs beschäftigt. Nachdem der Teig von Andreas flinken Händen zu Dschinn-Osterhasen geformt und wenig später gebacken waren, stand dem Osterdinner nichts mehr im Wege.